Bei der Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT) handelt es sich um eine erfolgversprechende neue Behandlungsmethode gegen Tinnitus, bei der die natürlichen biologischen Funktionsprinzipien des menschlichen Hörsystems therapeutisch genutzt werden.
Durch die TRT kann bei bis zu 80% der Patienten eine Besserung des Tinnitus erzielt werden. Es handelt sich dabei um eine ambulante, auf 1-2 Jahre anzulegende Behandlung, die bereits schon nach sechs Monaten bei mehr als 50% der Patienten erste Zeichen einer Besserung der Erkrankung erkennen lässt. Diese neue Behandlungsmethode muß als Naturheilmethode angesehen werden, weil weder Medikamente zum Einsatz kommen, noch chirurgische Massnahmen. Auch handelt es sich nicht um eine Form von Psychotherapie, vielmehr werden die natürlicherweise vorhandenen Funktionsprinzipien der zentralen Hörbahn dazu genutzt, die krankhaften dem Tinnitus entsprechenden Entladungsmuster der Nervenzellen wieder in den ursprünglichen gesunden Zustand zurückzutrainieren. Dabei werden zur schonenden Beschallung auch natürliche Umweltgeräusche zum Einsatz gebracht. Wenn diese allein aber nicht ausreichen, kann es notwendig werden, zur Dämpfung des Tinnitus dem Ohr zusätzlich noch ein “rosa Rauschen “ zuzuführen. Dieses Signal entspricht mit seinem Powerspektrum der menschlichen Stimme, oder auch der Musik z.B. des Brandenburgischen Konzertes, und ist daher den Naturgeräuschen vergleichbar. Die hier beschriebene TRT wird nicht nur sehr erfolgreich gegen Tinnitus eingesetzt, sondern sie stellt auch die einzige heute verfügbare Therapie gegen Hyperakusis dar und kann zudem auch noch als prophylaktische Massnahme gegen die Entstehung von Tinnitus eingesetzt werden.
Entscheidend für die TRT ist, dass diese sich ganz unabhängig davon, welche Schädigung den Tinnitus ausgelöst haben mag, bei praktisch allen Betroffenen anwenden lässt. Die Deutsche Tinnitus Liga hat über vierhundert verschiedene Auslöser für Tinnitus dingfest machen können. Doch in all diesen Fällen, wie unterschiedlich die Auslöser auch gewesen sein mögen, letztendlich sind immer die gleichen Störungen der Entladungsmuster von Nervenzellen in der zentralen Hörbahn für den Tinnitus verantwortlich zu machen. Und genau hier setzt die Tinnitus-Retraining-Therapie mit ihren Bemühungen an, die ursprünglichen Funktionsmuster auf natürliche Weise wiederherzustellen.
Die TRT kann im Prinzip von allen Therapeuten durchgeführt werden, die die dazu nötige Ausbildung absolviert haben. Die Ausbildung kann z.B. am Tinnitus- und Hyperakusis-Institut von Jastreboff in Maryland, USA, oder am TRT-Zentrum in Nottingham, GB, erfolgen. Ein Medizinstudium ist nicht unbedingt erforderlich, denn es werden keine Eingriffe am Menschen durchgeführt und auch keine Psychotherapie. Es handelt sich eher um eine profunde Beratung, denn eigentlich ist der Betroffene selbst der Therapeut, bei der TRT muß letztlich der Patient sich selbst heilen. Der Therapeut ist als Berater und Trainer aber ungemein wichtig. Er hat die Aufgabe, den Patienten erst zu der Therapie zu befähigen und ihn in die Lage zu versetzen, sich selbst zu behandeln. Dazu sind gründliche Kenntnisse der Neurophysiologie und Anatomie der zentralen menschlichen Hörbahn vonnöten ebenso wie ein Grundwissen über die Biochemie synaptischer Prozesse und der Wahrnehmungsphysiologie.
Die wissenschaftlichen Grundlagen und Methoden basieren auf dem neurophysiologischen Modell von Professor P.J. Jastreboff und W.P. Hazell aus den USA (1993). Die TRT-Behandlung von Tinnitus-Patienten wurde auch erstmals von Jastreboff beschrieben (1995). Wir führten diese Behandlung in unserem Frankfurter Tinnitus-Hyperakusis-Zentrum 1996 ein, nachdem wir die Methoden und Grundlagen direkt bei Herrn Prof. Jastreboff in den USA erlernt und übernommen hatten. .Die Behandlung richtet sich darauf , die zentralen Anteile der Hörbahn, die den Tinnitus „gelernt“ haben, wieder zu normalisieren. Wichtig ist dabei die Tatsache, dass eine Tinnitusbereitschaft bei jedem Menschen, auch beim Gesunden, vorhanden ist, und normalerweise durch zentrale Prozesse unterdrückt und abgefiltert wird. Dieses Phänomen lässt sich in eindrucksvoller Weise durch ein Experiment zeigen, bei dem gesunde Probanden in einen schalldichten Raum („Camera silenta“) gesetzt werden. Die Personen wurden gebeten, ihre Hörempfindungen in dieser vollkommenen Stille festzuhalten. Alle Probanden gaben an, Ohrgeräusche zu hören, wie man sie sonst von Tinnitus-Patienten geschildert bekmmt.
Diese Grundeigenschaft des Hörsystems beim Menschen, Tinnitus hervorzubringen (die Tinnitus-Bereitschaft), wird dadurch erklärt, dass schon ohne äußere Beschallung eine relativ hohe Spontanaktivität in den Hörnerven-Fasern vorliegt. Normalerweise wird diese „statistisch unkorrelierte“ Grundaktivität der peripheren Nerven vom Organismus aber als völlige Stille empfunden. Erst wenn Hörnerven-Aktivitäten korrelieren, also nicht unbestimmt sind, kann die Empfindung von Tönen oder Geräuschen entstehen.Diese Tatsache ist wichtig für das Verständnis der Funktion des Sanus-Noisers , der bei vielen Patienten notwendig ist, um das „rosa Rauschen“ in die Hörbahn einzuspeisen. Mit diesem spezifischen Schallgeber wird ein „statistisch unkorreliertes“ Rauschen in das Hörsystem eingebracht, das von der Hörrinde des Gehirns als „Ruhe“ interpretiert wird.
Wichtig für das der Therapie zugrunde liegende neurophysiologische Modell ist die Tatsache, dass die Nervenzellen der verschiedenen Schaltstationen der Hörbahn bis hinauf zur Hirnrinde, wo wahrscheinlich die bewusste Wahrnehmung des Tinnitus stattfindet, sowohl mit den Zellen der Gegenseite als auch mit anderen Teilen des ZNS intensiv vernetzt und wechselseitig synaptisch verknüpft sind, insbesondere mit der formatio reticularis und dem limbischen System. Die Formatio reticularis stellt ein Regulationszentrum für die Aktivität des gesamten Nervensystemes dar. Sie spielt bei der Steuerung der Bewusstseinslage und des Schlaf-Wach-Rhythmus eine entscheidende Rolle.Dabei wird die Großhirnrinde durch das sogenannte aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem der Formatio reticularis aktiviert. Viele Experimente mit Tieren und auch die Beobachtung an hirnerkrankten Menschen weisen darauf hin, dass die Formatio reticularis für die Entstehung, Aufrechterhaltung und Lenkung der Aufmerksamkeit verantwortlich ist. Dabei kann der Mensch seine Aufmerksamkeit zu einem Zeitpunkt nur auf eine Wahrnehmung/ einen Gedanken oder eine Tätigkeit lenken!
Von ähnlich wichtiger Bedeutung im Rahmen des neurophysiologischen Modells nach Jastreboff ist die intensive synaptische Verknüpfung der Hörbahn mit einer weiteren Struktur des ZNS, dem Limbischen System. Dieses wertet die eingehenden Reize, und ordnet jedem wahrgenommenen akustischen Signal eine Qualität zwischen „gut“ und „ schlecht“ zu.. Ob ein Geräusch angenehm oder bedrohlich erscheint, hängt nur vom Einfluß des Limbischen Systems ab.
Entscheidend für das therapeutische Vorgehen bei der TRT ist nun die Erkenntnis, dass der Schweregrad, die Lautstärke und der Belastungsgrad des Tinnitus im Wesentlichen von der Intensität der falschen synaptischen Verbindungen zwischen tinnitusbezogener neuronaler Aktivität einerseits und dem Limbischen System und der Formatio reticularis andererseits abhängt. Diese krankhaften synaptischen Verbindungen sollen im Laufe der TRT entkoppelt und gelöst werden. Es geht also bei der TRT nicht nur darum, das Tinnitussignal selbst durch Däpfungsmassnahmen der zentralen Hörbahn zu verringern. Vielmehr wird auch das Ziel verfolgt, die tinnitusbezogenen neuronalen Aktivitäten von der Formatio reticularis und dem Limbischen System synaptisch abzukoppeln.Der therapeutische Ansatz, der aus diesen Vorstellungen resultiert, ist die Desensibilisierung der zentralen Hörbahn gegenüber dem Ohrgeräusch. Die TRT zielt darauf ab, den Tinnitus mit Hilfe der „Habituation“ unschädlich zu machen. Habituation zu erreichen bedeutet, dass die zentrale Hörbahn gegenüber dem Tinnitus unempfindlich wird. Durch aktive Filterungsprozesse der zentralen Hörbahn wird eben genau dieses Signal, das dem Tinnitus entspricht, von der bewussten Wahrnehmung ferngehalten. Die TRT zielt darüber hinaus auch noch darauf ab, die emotionalen Reaktionen auf den Tinnitus langsam abzuschwächen und die Reaktionen des Organismus auf den Tinnitus zu verringern. Die Tinnitus-Retraining-Therapie ruht auf drei Säulen:Der erste Ansatz ist das sog. „Counselling“, der Ausgangspunkt der TRT. Das Counselling besteht zunächst darin, dass alle audiologischen und ärztlichen Befunde dem Patienten individuell erläutert werden. Erforderlich ist auch eine Klassifizierung des Tinnitus nach Schweregrad und anderen Kriterien mittels eines Fragebogens. Im weiteren Verlauf des Counselling wird dem Patienten dann die Entstehung des Tinnitus im Rahmen des neurophysiologischen Modells nach Jastreboff erklärt. Da der Betroffene Patient bei der TRT ja selbst der Therapeut ist, sich selbst behandeln muß und selbst entscheidend zum Fortschritt der Therapie beitragen soll, ist es wichtig, dass er das Modell möglichst in allen Einzelheiten versteht. Wegen der Formbarkeit der zentralen Nervenverbindungen ist es möglich, die normalen Funktionsmechanismen des ZNS zu nutzen: Akustische Signale werden gezielt eingesetzt, um die kranken Aktivitätsmuster der Nervenzellen im zentralen auditorischen System abzubauen und die falschen synaptischen Verbindungen zu schwächen.
Gleichzeitig sollen aber durch die TRT die ursprünglichen gesunden neuronalen Verknüpfungen wiederhergestellt, aktiviert und dann stabilisiert werden.Die zweite Säule der TRT ist die Geräuschtherapie mit Naturlauten oder mit „rosa Rauschen“ aus einem speziellen Tinnitus-Instrument, einem Rauschgenerator, dem für Tinnitus-Patienten entwickelten „Noiser“.Wenn im Rahmen der Therapie ein Sanus-Noiser eingesetzt wird, muß er individuell auf das jeweilige Tinnitus-Geräusch eingestellt werden. Der Sanus-Noiser soll den Tinnitus nicht übertönen, sondern ihn nur sanft „umspülen“. Im Rauschen des Noisers verliert der Tinnitus an Kontrast und wird somit kaum noch wahrgenommen. Die Geräuschtherapie mit dem Noiser wirkt also dadurch, dass das auditorische System mit konstanten, niedrig schwelligen akustischen Signalen versorgt wird, um den Unterschied zwischen der tinnitusbezogenen neuronalen Aktivität und der neuronalen Hintergrundaktivität zu verringern. So soll die Konzentration bzw. Fokussierung auf den Tinnitus verhindert werden.Der dritte Ansatz zur Habituation ergibt sich aus der Möglichkeit, über spezielle psychologische Techniken die Wechselwirkung zwischen dem Tinnitus und den subkortikalen Wertungsstrukturen zu beeinflussen. Dabei kann über Assoziationsübungen die Wirkung des Limbischen Systemes positiv beeinflusst werden und die Aktivität des vegetativen Nervensystems herabgesetzt werden.Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es sich bei der TRT um eine vernunftbegründete Naturheilmethode gegen Tinnitus handelt. Dabei werden die natürlichen Funktionsmechnismen neuronaler Strukturen des zentralen Nervensystems genutzt, um durch gezielte Massnahmen die Tinnitusaktivität und die Tinnitusbelastung zu reduzieren. In mehr als 80% der Patienten kann eine signifikante Besserung des Tinnitus erzielt werden.
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